Zum Geleit
Als Entrée der Auseinandersetzung mit aids and arts wurden uns folgende Fragen gestellt:
„How does AIDS affect your life? How has AIDS affected your life?“ 1990 konfrontierte die Künstlergruppe Group Material Studierende der University of Berkely im Rahmen eines Projekts mit denselben Fragen. Mitte 2007 begann für uns Studierende der Fotoklasse an der Akademie der bildenden Künste in Wien die Auseinandersetzung mit den für die Thematik aids and arts relevanten Inhalten.
Gruppen wie ACT UP, Visual AIDS und Gran Fury prägen das historische Angesicht des Kulturaktivismus rund um HIV. Auch in der bildenden Kunst Ende des 20. Jahrhunderts finden sich zahlreiche Beispiele einer Thematisierung der Pandemie. In welcher Beziehung stehen Themen wie persönliche Betroffenheit und ebenfalls die vermeintliche Nicht-Betroffenheit zu dem komplexen Phänomen HIV und AIDS? Welchen Kontext bietet unsere Zeit, um den Themenkomplex möglicherweise unter anderen Vorzeichen zu sehen als noch vor 20 Jahren? Rührt AIDS Künstlerinnen und Künstler heute noch an?
Im Rahmen regelmäßiger Treffen wurden diesbezügliche Schwerpunkte anhand von Präsentationen, Referaten, Gastvorträgen und letztlich auch durch die Besprechung von eigenen sowie historischen künstlerischen Werken aufbereitet. Über die gesamte Dauer des Projektes sind als Teil dieser Auseinandersetzung Arbeiten entstanden, die in dieser Publikation konzentriert sind. Stephan Schmidt-Wulffens Vortag über die von ihm 1996 kuratierte Ausstellung Gegendarstellung im Hamburger Kunstverein gab einen teils sehr persönlichen Einblick in den Umgang mit Kunst im Umfeld des Kulturaktivismus, der HIV und AIDS in den Mittelpunkt stellt. John Giorno, eine der Schlüsselfiguren der New Yorker Beat Generation und schlafender Darsteller in Warhols erstem Film "Sleep", hielt einen packenden Vortrag über sein Lebenswerk. Gregg Bordowitz präsentierte und besprach seine Filme und Flaming Creatures von Jack Smith wurde in einer Privatvorführung studiert.
Im Vorfeld wurden mit der Thematik vertraute Personen von Matthias Herrmann, Leiter der Klasse und Initiator des Projektes, befragt, mit welchen Fragen sie Studierende im Zuge eines Projektes zum Thema aids an arts konfrontieren würden. Die Ergebnisse dieser Befragung befinden sich in dieser Publikation. Auch Auszüge aus den Texten, die auf Grund der Fragen „How does AIDS affect your life? How has AIDS affected your life?“ verfasst wurden, bilden einen Teil des Inhalts.
Die fünfköpfige Redaktion dieser Publikation bildete sich aus der Mitte des Projekts, als der Konsensus vorherrschte, dass eine Publikation entstehen sollte. Der Umgang mit dem Material, die Recherche und das Besprechen des thematisch-visuellen Bogens, der sich um das Druckwerk spannt, das Eindämmen und das Hegen der Vision des Endproduktes sind Teil des künstlerischen Prozesses, den jede und jeder der Redaktion durchlaufen hat. Als Form für diese Publikation wurde die Emulsion eines Readers und eines Zines gewählt. Einerseits sollte das Druckwerk als Sammlung vielfältiger Perspektiven aus Kunst und Kultur fungieren und andererseits Magazin-Charakteristiken besitzen und sich über editorische Wendigkeit und die Essenz eines Gemeinschaftswerkes definieren. Die Buchpräsentation fand im Rahmen des Monats der Fotografie 2008 statt.
Das Prinzip der Ansteckung hat sich in den letzten Jahren zum beliebten Lehngut kulturwissenschaftlicher Forschung entwickelt. In Medizin, Biologie, politischer Rhetorik, Literatur, Geschlechterpolitik wie auch der Medienwissenschaft scheint die Idee der Ansteckung nicht nur geeignet, verschiedene Diskurse aufeinander zu beziehen, sondern verspricht außerdem, das theoretische Konzept dieser Beziehbarkeit mitzuliefern. Auch Brigitte Weingart bedient sich dieser Form der Übertragung in ihrer Schrift Ansteckende Wörter.(1)
Weingart bespricht den Diskurs Aids aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive als Verhandlungsort von Grenzen in Bezug auf gesellschaftliche Probleme wie Homophobie, Rassismus und Sicherheitsdenken. Sie skizziert die stereotypen Vorstellung einer HIV-positiven Person, die seit den Achtzigern kursiert, durch Promiskuität, sexuelle Praktiken jenseits des Reproduktionsversprechens und Drogenmissbrauch. Dieses Bild versucht sie zu hinterfragen.(2)
Aids wurde zu Beginnzeiten als Zeichen, also Bedeutungsträger aufgefasst. Weingart versucht dies zu illustrieren, indem sie AIDS als „Bedeutungsepidemie“ entlarvt. Das Sprechen über die Krankheit steht in direkter Relation zur realen Krankheit. Weingart bezieht sich in Bezug auf das Metaphorische im Sprechen über Krankheit auf Susan Sontag.(3) Sontag pocht in ihrem Buch Krankheit als Metapher vehement darauf über Krankheit nicht länger durch Metaphern zu sprechen. Sie illustriert ebenfalls, dass die Vorstellungen einer Krankheit auf das aktive Erleben der Krankheit einwirken kann.(4)
Sontag und Weingart beschäftigten sich mit dem Vergleich von Krebs und Aids. Die populäre Mythologie klassifiziert Krebs als etwas, das von innen her kommt. Der Körper richtet sich gegen sich selbst.(5)Aids steht für die Bedrohung von außen. Das Phantasma des heilen, geschlossenen, hygienischen Körpers steht im Gegensatz zum lebendigen, kranken und infizierten Leib. Die Wahrnehmung von Aids und Krebs wird durch die Sprache, die diese Phänomene erfassen und be-sprechen soll, bestimmt und beeinflusst. Eine Krankheit (des Körpers) haben und (am Leibe) Kranksein sind ebenfalls zwei unterschiedliche sprachliche Konzepte. Ich bin Aids.
Elaine Scarry spricht in Der Körper im Schmerz von der Schwierigkeit Schmerzen mitzuteilen. Selbst wenn die unter Schmerzen leidende Person alle Kräfte mobilisiert wird das, was die empfangende Person unter Aufwartung aller Aufmerksamkeit wahrnimmt, nur ein Schatten, ein Index dessen sein, was der wirkliche Schmerz ist. Schmerz kann nicht sprachlich objektiviert werden.(6) Um über Schmerz sprechen zu können bedient sich der Sprechende zweier Metaphern: entweder er benennt einen Agenten oder Urheber für den Schmerz (wie ein Messer im Rücken) oder er nennt eine körperliche Verletzung, von der Schmerz ausgehen könnte (wie tausend Knochensplitter).(7) Scarry beschäftigt sich auch mit der Gefahr, die in der Verwendung von Metaphern um über Schmerz zu sprechen innewohnt, anhand der Beispiele von Krieg und Folter.
Krankheit geht Hand in Hand mit Schmerz. Sie teilen ein ambivalentes Verhältnis zur Sprache. Um über Krankheit und Schmerz zu sprechen sind wir auf Metaphern angewiesen, auch wenn Sontag und Scarry vor deren Gebrauch warnen und die innewohnenden gesellschaftspolitischen Sprengkräfte aufzeigen. Auch Ängste, die mit der Ansteckbarkeit und der scheinbaren Unfassbarkeit des HI-Virus einhergehen, wirken auf den sprachlichen Diskurs über HIV ein. Im vorliegenden Druckwerk soll eine visuelle und sprachliche Vielfalt, durch und ohne Metaphern, den Lesenden und Betrachtenden Wege und Antworten zeigen, ob und wie AIDS im 21. Jahrhundert berührt und rühren kann.
(1) Siehe dazu: Weingart, 2002.
(2) Vgl. Weingart, 2007.
(3) Vgl. Weingart, 2007.
(4) Vgl. Sontag, 1989.
(5) Vgl. Weingart, 2007.
(6) Vgl. Scarry, 1992, S. 12ff.
(7) Vgl. Scarry, 1992, S. 28.
Quellen:
SCARRY, Elaine: Der Körper im Schmerz. Die Chiffren der Verletzlichkeit und die Erfindung der Kultur. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1992.
SONTAG, Susan: Krankheit als Metapher. Fischer, Frankfurt/M. 1989.
WEINGART, Brigitte: Ansteckende Wörter. Repräsentationen von AIDS. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2002.
WEINGART, Brigitte: Bedeutungen wuchern. http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/bedeutungen-wuchern/?src=SZ&cHash=fc0e4766ca, Verf. 30.Nov.2007, 11.Nov.2008.