Transparent-opake Lichträume

Zum photographischen Werk von Susi Krautgartner
von Iris Laner, 2008

Die Photographie ist ein Medium der Transparenz, das sich scheinbar unsichtbar zwischen Auge und Motiv stellt, um ein flüchtiges Szenario, eine einmalige Begegnung zwischen Erblickender und Erblicktem zu fixieren. Der „photographische Akt“ , wie Philippe Dubois ihn beschreibt, ist in diesem Sinne durch die Unheimlichkeit einer vollständigen, aber unsichtbaren Durchdrungenheit der Situation mit einer technisch konservierenden Apparatur gezeichnet. Eine derartige „Transparenz“ des Mediums ist allerdings nur eine scheinbare und das in zweifacher Hinsicht, soviel ist in diesen Aussagen bereits mitgeschickt: Weder ist die Photographie einerseits in ihrer medialen Zuschaltung zu einer Situation immer schon in ihrem additiven Charakter transparent. Oft ereignet sie sich versteckt, lauert dem Photographierten aus dem Hinterhalt auf, greift hinterrücks auf es über, um es in einem Moment der Unachtsamkeit überrascht auf Papier zu bannen. Dieses Photographieren ohne Transparenz des photographischen Aktes ist bestimmend für viele Bereiche der Pressephotographie oder der klassischen Form der „Gucklochphotographie“. Noch, und hier verdoppelt sich die Hinsicht, ist die Medialität der Photographie andererseits selbst eine transparente, eine durchlässige Form, so als ob sie den „natürlichen“, augenhaften Blick restlos imitieren könnte oder wollte. Der Apparat nimmt vielmehr formend und stilisierend zum Photographierten Stellung, indem er dieses beschneidet, akzentuiert, ja beizeiten dem Nichtphotographierten gegenüber gar verabsolutiert. Susi Krautgartners szenische Photographien spannen sich nun in einem Bogen dieser zweifach in Frage gestellten Transparenz forschend auf und erkunden dabei ihre eigene Medialität in besonderer Weise und über die Grenzen der Photographie hinaus.

Raumkörper und Körperraum

Zunächst ist es bezeichnend für fast alle von Krautgartners Arbeiten, dass sie sich in Räume der Transparenz einnisten, in die sich das photographische Motiv – wenn man zunächst zwischen Raum und Motiv unterscheiden will – fast erschöpfend einschreiben kann. Hier prallt ein überdeterminiertes Sujet auf seltsam unterbelichteten Boden. Wir finden in der Gegenüberstellung mit diesen unscheinbaren, weil transparenten Räumen statt horizonthafter Angelpunkte und architektonischer Elemente meist allein raumfüllendes, dabei gleichsam absorbierendes Weiß, beizeiten auch verschlingendes, überlaufendes Schwarz. Die Hintergründigkeit dieser monochromen Transparenz des Raumes geht mit einer seltsamen Absenz einer Wahrnehmung der gewohnten Räumlichkeit der Photographie selbst einher. Susi Krautgartners photographische Räume provozieren so zunächst eine völlige Durchlässigkeit, präsentieren sich derart durch und durch transparent, indem sie den Blick auf ihr Motiv schonungslos in aller Nacktheit, nämlich „umgebungslos“ freigeben.
Der Raum als Aufenthaltsraum eines, als Umgebung für einen oder mehrere Körper hat sich in diesen Auseinandersetzungen in seiner eigenen Transparenz aufgelöst und geht damit restlos in seiner Rolle als Medium im Sinne einer unsichtbaren und rein vermittelnden Funktionalität auf. Das Szenario für eine räumliche Verortung von Krautgartners Inszenierungen ihrer eigenen Person ist implodiert und in eine zwar omnipräsente, jedoch stets stillschweigende Hintergründigkeit abgewandert. Paradoxerweise birgt diese vermeintliche Auflösung des Raumes als umgebender Ort im selben Zug eine merkwürdig affirmative Bewegung hin zu einer anderen Dimensionalität des Raumes abseits seiner Bestimmung als funktionalistische Umgebung. Er wird in der Betrachtung nämlich schrittweise re-habilitiert als eigentlich unmöglicher, abstrakter Nichtraum, der sich trotz seiner scheinbaren Präsenz als unsichtbares Medium des Körpers gewaltsam aufdrängt und das Motiv plötzlich vollständig vereinnahmt, in seiner radikalen Transparenz durchdringt, ja in den Körper, den er ja eigentlich nur umgeben sollte, gewaltsam eindringt.

In der Zweibildserie Prämortem schält sich das undurchdringliche Schwarz als eine Summe von möglichen Szenarien pulsierend aus seiner absorbierenden örtlichen Unbestimmtheit heraus. Es drängt sich vom unbekannten Ort, vom transparenten Aufenthaltsraum her rührend auf und wächst zu einer umschlagenden Kraft des aktiv wirkenden Raumes heran, der gerade dadurch so eigenständig und bedrohlich wird, weil er nicht mehr eindeutig verortet werden kann. Der Raum als Aufenthaltsraum, als umgebender, konkreter Ort eines Körpers droht in dieser paradoxen Bewegung von totaler Vereinnahmung und vollständiger Funktionalisierung zu zerschellen. Im Zuge dieser Exposition der Transparenz des Raumes, wie sie sich in Susi Krautgartners Arbeiten immer wieder ereignet, wird so das radikale Ineinandergreifen von körperhaftem Raum und räumlichem Körper virulent. Diese unbedingte Bezogenheit entpuppt sich dabei immer wieder als Problem des Heraustretens, des Sich-zur-Schau-stellen-Könnens.

Der Serie Uncanny Valley wohnt ein zunächst sehr subtiles und zartes Nichtraumgefühl der völligen Abgeschiedenheit, ja man könnte sagen der Transzendenz ein. Diese eröffnet das Set für das ebenso zarte und zerbrechliche Motiv des ganz unheimlich puppenhaften Körpers der Künstlerin. Beide Facetten – sowohl die Subtilität des transzendenten Raumes als auch die zunächst harmonisch wirkende Unaufdringlichkeit des darin frei schwebenden Körpers – wandern allerdings auf sehr schmalen Graten und sind gerade in ihrem Zusammenspiel einer steten Gefahr des Umsturzes ausgesetzt. Während die perfekt lächelnde Blondine langsam ihre penetrante, irritierende Künstlichkeit freigibt, beginnt auch die Neutralität, die weiße Reinheit des Raumes umzuschlagen und sich mehr und mehr in das Motiv hineinzufressen. Durch die weiche Silhouette des Körpers, durch die gleichsam morbide Qualität der Weißheit dieses Raumes scheint die Abgegrenztheit zwischen beiden plötzlich so fragil wie der Eindruck, den diese Bilder auslösen. Diese ambivalente Verwobenheit von Raum und Nichtraum, von Körper und Körperlosem, von völliger Transparenz und restloser Opazität fügt Susi Krautgartners Arbeiten einen tiefen Schnitt zu, der altbekannte Konzepte dualistischer Einteilungen aufs Glatteis führt. Das sich hier als höchst transparent, geradezu diaphan erweisende Verhältnis zwischen Motiv und Raum stellt eine hierarchische Trennlinie zwischen beiden Größen nachhaltig in Frage: wie schon in der Gestalttheorie sieht sich die Figur hier in den Grund eingelassen, ohne dass dieser ihr aber sichtbaren Halt im Sinne eines identifizierbaren Koordinatensystems spenden würde. Trotzdem ist die Kraft des Raumes unsichtbar in die unaufdringliche Dynamik der Bilder eingeschrieben und spricht sich in der Betrachtung von dorther zu.

Transparenz und Szenerie – Kommentare zu einem Unverhältnis

Susi Krautgartners Photographien sind künstliche Arrangements, die die Künstlerin in Studiosituationen feinmaschig anordnet. Um diese penibel konzipierten Anordnungen auch in ihrer Umsetzung gewährleisten zu können, muss sie sich an einen Ort, der zunächst als völlig von ihr okkubierbar erscheint, zurückziehen: das Studio. Die Studiosituation stellt so gerade für das Problem der Transparenz der Photographie eine besondere Konfrontation dar. Einerseits wird die Photographie hier in einer sehr eindringlichen Weise exponiert: es geschieht alles nur um und für die Photographie. Andererseits aber ist gerade für die Studiophotographie die nachhaltige Einklammerung dieser restlosen Transparenz bezeichnend. Sie rührt immer an jenen Rand, der darüber nachdenken lässt, ob es nun tatsächlich der „künstliche Ort“ des Studios gewesen ist, in dem etwas abgelichtet wurde. Der sich hier zeigende Einsatz der Studiophotographie kümmert sich indes um die Erschaffung künstlicher Szenarien, die als solche ausgewiesen werden und die nicht um eine Imitation von „Natürlichkeit“ bemüht sind. Durch die Abstraktion des Aufenthaltsraumes und die damit einhergehende Installierung einer körperlichen Räumlichkeit, die – von der räumlichen Transparenz durchwirkt – völlig undurchdringbar und opak geworden ist, legt die Künstlerin eine genuine Bestimmung des Studios als Ort aller möglichen Orte frei. Indem das Set für die Konstruktion eines bestimmten Ambientes – egal, ob es sich hier um Fragen der Beleuchtung oder der Anordnung eines bestimmten Kontextes handelt – gerade dadurch durchbrochen wird, dass dieses bis aufs Äußerste neutralisiert wird, wird sein radikaler Horizont der Uneindeutigkeit freigelegt. Studiophotographie funktioniert, weil sie der Möglichkeit nach hybrid und unangepasst ist. Gerade und allein aus diesem Grund kann sie eine solche Vielfalt an Passformen bereitstellen. In Susi Krautgartners Arbeiten wird diese Passform, diese Bestimmung des Einsatzes des Studios als Ort für die Erschaffung eines bestimmten Szenarios, dahingehend zugespitzt, dass sich die Photographin auf die ureigenste Möglichkeit dieses Ortes aller Orte besinnt: sich für keine Möglichkeit explizit zu entscheiden. Durch das monochrome Studioweiß, durch das aufdringlich ort- und raumlose Hintergrundschwarz wird der bunte szenische Möglichkeitsraum des Sets gestört. In diesem Sinne zeigt sich in diesen Photographien ein Mangel an Konkretisierung, an Ausbuchstabierung eines spezifischen Kontextes am Werk. Im selben Atemzug aber sind die Bilder aber als Stellvertreter für alle möglichen Szenarien exponiert und erkunden so den für sie völlig transparenten Horizont der Studiophotographie.

In der Serie Identity Parade wird eine Erkundung der Transparenz des szenischen Raumes in der Photographie beispielhaft vorgeführt. Es stehen dabei zwei Strategien im Vordergrund, die nicht nur diese Arbeit, sondern einen beachtlichen Teil des bisherigen Werks von Susi Krautgartner bestimmen. Zum einen erprobt sich die Künstlerin in verschiedenartigsten Inszenierungen ihrer eigenen Person. Sie präsentiert sich so etwa als Bauarbeiter mit grimmigem Gesichtsausdruck oder als Domina mit einladend-verschmitzter Geste. Nebeneinander blicken sie in Form einer Gegenüberstellung in Richtung Betrachterin. Zu diesem Spiel mit den Identitäten, das sich zitathaft auf bereits klassische Arbeiten der Selbstinszenierung wie jene von Cindy Sherman berufen, gesellt sich nun eine eigenartige Uniformität des Raumes. Der Hintergrund, vor dem uns diese Vielfalt an Figuren entgegenblickt, ist stets derselbe: ein neutraler, weißer Hintergrund ohne augenfällige räumliche Tiefe. Er bietet so zunächst neben einer gleichartigen Formensprache, Ähnlichkeiten in Ausschnitt und natürlich das über alle Arbeiten hin selbe Motiv, nämlich Susi Krautgartner, ein weiteres verbindendes Element zwischen den diversen abgelichteten „Identitäten“. Der Betrachterin wird schnell klar, dass es sich um den neutralen, vermeintlich bedeutungslosen Ort des Studios handelt, in dem sich alle diese Gestalten zur Gegenüberstellung versammelt haben. Doch dieser erste Eindruck gerät bei einer eingehenderen Beschau dieser Arbeiten recht schnell ins Wanken. Denn die Neutralität dieses transparenten, ja fast unsichtbaren Raumes drängt sich seltsam penetrant auf. Statt den Raum für die bloße Vielfalt dieser „Identitätsparade“ im gebrochenen Sinne freizugeben, schreibt sich das aufdringliche, ja das durchdringende Weiß in die Figuren mit ein. Nicht, dass es ihnen ihren Aufenthaltsraum sichern würde, nein, es beansprucht in Ermangelung dessen seine eigene Entfaltung als merkwürdig unterbestimmter Raum. Die Betrachterin wird so in Fragwürdigkeiten gedrängt, die um das Thema des Status eines solchen „Ortes“ kreisen, wie er hier nicht nur suggeriert, sondern materiell abgelichtet ist. Dieser Raum kann nicht als konkreter Ort dechiffriert werden, indem er von allen Anhaltspunkten feinsäuberlich freigeputzt worden ist.

Der Ort, Topos, als Aufenthaltsraum wird aufgelöst. Die klassische aristotelische Bestimmung des Ortes, der sich als (Existenz-)Stätte an seinen Körper heftet, zerbricht an der Nichtörtlichkeit des Studios. Im Studio hält man sich nicht auf – das Studio als Ort der Inszenierung, als Set ist dagegen durch eine Adaptierbarkeit für verschiedene Arrangements, die ihm nicht inhärieren, sondern vielmehr beigefügt werden, markiert. Das Studio ist somit ein Raum der radikalen Offenständigkeit, der je nach Geschmack mit diversen Szenerien befüllt werden kann. Diese Flexibilität verlangt nach einer größtmöglichen Eigenschaftslosigkeit – oder besser Neutralität – des Studioraumes selbst. Bleibt dieser vermeintlich eigenschaftslose Raum nun jedoch in seiner Offenständigkeit allein gelassen und wird dagegen nur von einem scheinbar in seinen Schoss des aufenthaltslosen Raumes sich verirrenden Motivs kurzzeitig bewohnt, dann geschieht etwas Seltsames. Dieser Moment der Irritation, der sich zwischen der Fülle einer Inszenierung und der hintergründigen räumlichen Offenständigkeit, aus der sie sich erst zusprechen kann, gleichsam aber als inszenierte entlarvt werden kann, ist ein zentrales Sujet, um das die Photographien von Susi Krautgartner immer wieder ratlos kreisen. Der Raum wird damit als Ort der räumlichen Enthaltsamkeit freigelegt. Anstatt von Details herrscht hier Monochromizität und eine radikale Hintergründigkeit. Doch der Raum wird durch diese Hintergründigkeit, durch diese völlige Durchlässigkeit keineswegs nebensächlich. Er wird dagegen in einer besonderen Art und Weise dekonstruiert und auf seine Funktionalität in der Photographie hin befragt. Es gibt keine Verweise auf ein konkretes Wo mehr. Durch diese Nichtlokalisierbarkeit wird gleichsam die Medialität der Photographie genau in ihrem vermeintlichen Wirklichkeitscharakter gestört. Es handelt sich um ein fragendes, neckisches Spiel mit dem Aufenthalt des Motivs im aufenthaltslosen Raum. Nicht mehr nur die Frage „Wer bist du?“ drängt sich durch die Photographien hindurch auf, sondern auch diejenige nach dem „Wo bist du?“. Damit wird der wohlbekannte postmoderne Identitätsdiskurs von einer weiteren Ebene umrahmt, nämlich derjenigen nach der Bedeutungsdichte des Ortes, seiner fragwürdigen Unterschiedenheit vom Raum und damit begleitet von wesentlichen Fragen der Ent-Grenzung. Da es keine Chiffren, keine Anhaltspunkte mehr für eine räumliche Verortung gibt, wird die Körperlichkeit der Motive in einer besonderen Art und Weise hervorgehoben, der Körper ist exponiert und damit in der urtümlichsten seiner Möglichkeiten gehalten. Die paradoxe Eingebettetheit dieser Exponation artikuliert sich in einem sowohl zeitlichen als auch identitätstechnischen „Stillstand“ – jeder Augenblick der Kamera zeigt uns in statischen Momenten die Dynamik der Verwandlung des hybriden Motivs auf.

Methode und Motiv „Ein Körper, das bedeutet, exponiert sein“

Der Körper, der „eigene“ Körper ist das zentrale Motiv der Arbeiten Susi Krautgartners. In verschiedensten Variationen versucht die Künstlerin, die Offenheit ihres Körpers für Veränderung – sei es durch Gesten und Mimik, durch Verkleidung oder Maskierung oder durch Eingriffe von „Außen“ – durch ihre Photographien hindurch zur Schau zu stellen. Diese Arbeit mit und an sich selbst, diese gezielten Operationen, die zu Demonstrationszwecken abgelichtet werden, ragen in diverse Fragen der Leiblichkeit und der Materialität des Körpers hinein.

Was bedeutet es aber, den eigenen Körper in einer solchen Art von Schaulust für die Blicke anderer schonungslos freizugeben? Susi Krautgartner kommentiert in der Serie Uncanny Valley die Möglichkeit einer in sich selbst beschlossenen Körperlichkeit. Ein geschlossener Körper muss ein toter Körper sein, wenn das Zeichen der Lebendigkeit eine Offenständigkeit, eine permanent subsistierende Veränderbarkeit des Körpers ist. Der veränderbare Körper, der offene, lebendige Körper ist aber gleichsam derjenige, der stets an seine Grenzen stößt, die von Außen, vom Anders an ihn herangetragen werden und deren er sich durch seine Körperlichkeit ausliefern lässt. Der in diesem Sinne stets zu seiner Ent-Grenzung hin drängende Körper ist exponiert. Er kann sich zu keinem Zeitpunkt in sich selbst zurückziehen, er kann sich selbst nicht beschließen, gerade weil er durch seine Körperlichkeit je über die vermeintlich eigenen Grenzen hinaus schwappt. Nichtsdestoweniger reibt er sich an den Grenzen, die ihn umstellen und genau diese Umstellung ist ein Motiv dieser Serie. Wenn der eigene Körper implodiert, wenn ihm seine Lebendigkeit im eigenen Halse stecken bleibt, dann wird er plötzlich beschlossene Sache und damit in höchstem Maße suspekt. Susi Krautgartners Uncanny Valley Serie thematisiert exakt jenen zutiefst unheimlichen Umschlagpunkt, der einen eigentlich ek-statischen Körper plötzlich einfrieren lässt. Der absolute Nullpunkt der ins Nichts zurückweisenden Geste, des leeren, haltlosen Ausdrucks, der über jede Grenze, jede Möglichkeit von Anderem hinweggleitet und der transparenten, jedoch nichtsdestoweniger blockierenden Momentaufnahme friert die Lebendigkeit dieses Körpers im Bild ein. Die Potenzierung des Stillstehens, der Unbeweglichkeit bietet dabei eine zusätzliche Erforschung des transparenten photographischen Raumes, durch die die mediale Natur der Photographie in ihrem Charakter der Momentaufnahme durch die Bewegungslosigkeit des Motivs selbst nachhaltig entstellt wird. Die Wirkung dieses Stillstandes ist von beunruhigender Penetranz und drängt sich der Betrachterin geschützt durch die vordergründige Frage, wessen diese seltsamen gestischen und mimischen Ausdrücke geschuldet sein mögen, äußerst subtil auf.

Die Kamera fungiert als stummes und starres Auge des Publikums, vor dem sich eine auf einzelne eruptive Ereignisse gerichtete Performance abspielt. Doch kann vor einem technischen Gerät überhaupt performt werden? Susi Krautgartner inszeniert ihren Körper vor dieser Kamera, ohne dabei ihr „Publikum“ im Blick zu haben. Doch was ist ein Publikum überhaupt? Gibt es eine bestimmbare Schwelle, die ein Publikum zu einem solchen werden lässt? Die Performance, die sich hier vollzieht ist auf den ersten Blick publikumslos, eine scheinbar intime Auseinandersetzung mit den Grenzen der eigenen Körperlichkeit, wie sie an das Medium der Photographie rührt. Doch der eigene Körper trägt in seiner Ausgedehntheit die persönliche Ent-Grenztheit bereits in sich und ist damit nie allein bei sich. Somit ist das „Handanlegen“ von Susi Krautgartner an sich selbst immer schon auch eine Berührung des Umfelds, des seltsam dichten transparenten Körperraumes, an den sie ständig stößt, von dem sie sich abstößt und der sie sich ausstoßen lässt. Die Photographie entpuppt sich so als körperhaftes und seltsam untransparentes Zwischen, das eine Reibungsfläche für ein Sich-zur-Schau-Stellen der Photographin und der Photographierten gleichermaßen bereitstellt. Denn zu sehen bekommen wir „nur“ jene vielfältigen Bilder, die sich in einer körperhaften Auseinandersetzung mit der Kamera entfaltet haben, an derer Entfaltung wir nun aber nur von einer anderen Seite teilhaben dürfen, nämlich in ihrem Rühren an uns und umgekehrt. Die Begegnung von Kamera und Motiv, von Raum, Photographin, Photographierter und technischer Apparatur bleibt uns als offene Frage des Bildes entzogen. Eine performative Verkörperung erweist sich von jeher als unumgänglich, indem sie eine alltägliche Verhandlung mit der radikalen Offenständigkeit des Körpers als vielfältiger Horizont ist. Sie ist zunächst und zumeist auf keine Anwesenheit eines Publikums verwiesen, sondern allein auf eine faktische Reibung an der Widerständigkeit der Umgebung – und diese Umgebung ist natürlich durchzogen vom nicht nur Intimen, aber elementar vom Öffentlichen, vom Nicht-Privaten, vom Anderen. Dieser Perspektivenreichtum der Unabgeschlossenheit der eigenen Körperlichkeit, der in der Photographie in Auszügen festgehalten und damit auf seine Fluidität hin befragt wird, äußert sich auch in der Frage der Geschlechterdifferenz.

In der Arbeit N.B. thematisiert die Künstlerin den schmalen Grat der Zuschreibbarkeit von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dabei ironisiert sie jene vermeintlich eindeutigen Merkmale von Gender, die sie in einer Erinnerung an ihre Pubertät an sich selbst sozusagen als nachhaltiges Korrektiv vorexerziert. Hier wirkt gerade die subtile Absenz von weiblichen Chiffren wie vollen roten Lippen, langen Haaren, körperbetonter Kleidung etc. ent-grenzend in Bezug auf die Mädchenhaftigkeit der Künstlerin. Die Frage der Performativität öffnet mit den altklugen Aufforderung Susi Krautgartners an sich selbst einen weiteren Horizont: nicht nur die körperlichen Ausführung von Handlungsanweisungen sind performativ, schon die Befehlstruktur der Imperative selbst ist es.


1 Philippe Dubois: L'acte photographique. Paris: Nathan u.a., 1983.
2 Vgl dazu etwa: Susan Sontag: On photography. New York: Farrar, Straus, Giroux, 1978.
3 Die Bestimmung des Ortes als Offenständigkeit für jegliche Art von Körper, die letzteren zu einem Motiv des Örtlichen und ersteren zu einem Motiv des Körperlichen macht, verschlingt schon im Verständnis von Aristoteles beide untrennbar ineinander (vgl. Aristoteles: Philosophische Schriften 6. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995. S. 81ff., 210bff.).
4 Der Kontext bietet eine ausgezeichnete Figur für die Dimension der Susi Krautgartner’schen photographischen Raumforschung. Indem der „Kon-Text“ nämlich immer schon an den „Text“ geheftet ist, beide im Grunde fließend ineinander übergehen, wird die unbedingte Einheit beider als Spannungsverhältnis offenbar.
5 Der englische Ausdruck „Identity Parade“ wird von der Künstlerin so sehr gezielt eingesetzt, weil er neben seiner buchstäblichen Bedeutung auch jenes Verfahren der polizeilichen Gegenüberstellung bezeichnet, das bei der Identifizierung von VerbrecherInnen durch Zeugen durchgeführt wird.
6 Jean-Luc Nancy: Corpus. Zürich; Berlin: Diaphanes, 2007. S. 107.
7 Judith Butler thematisiert diese Offenständigkeit des Körpers als eingebettet in eine diskursive Ordnung, die gewissen quasi-rituellen Verfahren des Performativen den Vorzug gibt. Judith Butler: Bodies that Matter. On the Discursive Limits of “Sex”. New York, NY u.a.: Routledge, 1993.